Auch die nur anteilige Vorgabe der HOAI als verbindliches Preisrecht für Planungsleistungen im Rahmen eines zuschlagsrelevanten Gesamthonorars verstößt gegen Europarecht! (Anmerkung zu VK Bund, Beschluss vom 30.08.2019 – VK 2-60/19)

Nachdem der Europäische Gerichtshof (EuGH) mit Urteil vom 4. Juli 2019 in der Rechtssache C-377/17 (vgl. dazu unseren Beitrag vom 04. Juli 2019) die Mindest- und Höchstsätze der Verordnung über die Honorare für Architekten- und Ingenieurleistungen (HOAI) für europarechtswidrig erklärt hatte, hat die Vergabekammer des Bundes (VK Bund) nunmehr entschieden, dass es auch europa- und vergaberechtswidrig sei, das verbindliche Preisrecht der HOAI für Teile der Leistungen im Rahmen eines überwiegend frei kalkulierbaren zuschlagsrelevanten Gesamthonorars vorzugeben. Es handelt sich – soweit ersichtlich – um die erste Entscheidung in einem Nachprüfungsverfahren, welche die Auswirkungen der EuGH-Entscheidung auf Ausschreibungen von Planungsleistungen zum Thema macht.

Der Fall

Der öffentliche Auftraggeber (AG) schrieb in einem Verhandlungsverfahren mit Teilnahmewettbewerb nach § 17 der Vergabeverordnung (VgV) die gesamtheitliche Vergabe von Planungsleistungen aus. Zum Zeitpunkt der Entscheidung des EuGH standen noch die abschließende Wertung und die Information der unterlegenen Bieter aus.

Als Zuschlagskriterien bestimmte der AG den Preis mit 30 Wichtungspunkten und qualitative Zuschlagskriterien mit 70 Wichtungspunkten.

Bestandteil des Vertragsentwurfs waren unter anderem Klauseln zur Honorarermittlung für die einzelnen Leistungen nach den Maßgaben der HOAI. Danach war ein 35 %iger Anteil am Gesamthonorar durch die Tafelwerte der HOAI festgelegt. Im Übrigen war das Honorar von den Bietern frei kalkulierbar, weil die entsprechenden Leistungen nicht der HOAI unterfallen.

Mehrere Bieter gaben nach dem Abschluss der Verhandlungen ihre endgültigen Angebote ab. Nach der vom AG durchgeführten Angebotsprüfung erreichte die Antragstellerin (ASt) beim Zuschlagskriterium Preis nicht die volle Punktzahl und rangierte danach an zweiter Stelle hinter der Beigeladenen (BGl). Ausschlaggebend dafür war allein das Zuschlagskriterium des Preises, weil die Angebote für die weiteren vier qualifizierten Zuschlagskriterien sämtlich die gleiche Punktzahl erhielten. Mit Informationsschreiben vom 25. Juli 2019 informierte der AG die ASt über das Ergebnis des Verfahrens.

Nach erfolglos gebliebener Rüge stellte die ASt am 1. August 2019 Nachprüfungsantrag. Sie rügte im Kern, der AG habe die qualitativen Zuschlagskriterien falsch angewandt, indem er es an der gebotenen Differenzierung fehlen ließ und alle Bieter gleich gewichtet hat.

Die Entscheidung

Der Nachprüfungsantrag hat Erfolg. Die VK Bund hat dem AG untersagt, auf Basis der bisherigen Wertung den Zuschlag auf das Angebot der BGl zu erteilen. Zugleich hat sie dem AG aufgegeben, das Vergabeverfahren unter Beachtung der Rechtsauffassung der Vergabekammer partiell zurückzuversetzen und den Bietern insoweit Gelegenheit zur erneuten Angebotsabgabe zu geben.

Die von der ASt erhobenen Rügen wies die VK Bund zwar zurück, da keine Übertretung des Beurteilungsspielraums bei der Bewertung der Qualität der Angebote zu erkennen sei (Rn. 83 ff.).

Nach Ansicht der VK Bund leidet das streitgegenständliche Vergabeverfahren jedoch an dem Mangel, dass für das Zuschlagskriterium Preis und die hierfür erforderliche Honorarkalkulation durch die Bieter zumindest teilweise das verbindliche, aber europarechtswidrige Preisrecht der HOAI vom AG vorgegeben und von den Bietern anzuwenden war (Rn. 64 ff.). Aus dem Urteil des EuGH vom 4. Juli 2019 in der Rechtsache C-377/17 gehe aber hervor, dass das Beibehalten dieser Regelungen gegen sekundäres Unionsrecht verstoße. Weil europarechtliche Vorgaben von Amts wegen zu beachten seien, seien auch die Vorgaben der HOAI für die erforderliche Honorarkalkulation zum Zuschlagskriterium Preis nicht mehr anzuwenden. Das Vergabeverfahren müsse daher im gebotenen Umfang zurückversetzt werden, um den Bietern eine neue Kalkulation unter Beachtung der Maßgaben des EuGH-Urteils zu ermöglichen.

Zu diesem Ergebnis gelangte die VK Bund, obwohl alle Verfahrensbeteiligten der Ansicht waren, dass diese Vorgabe der HOAI für einen Teil der Honorarkalkulation sich auf den zu bildenden Gesamtpreis nicht ausgewirkt habe und das EuGH Urteil vom 4. Juli 2019 im konkreten Falle daher keine Auswirkungen habe.

Aus den Ausführungen der Beteiligten folge jedoch nicht – so die Vergabekammer – , dass es auf die von dem AG gemäß § 127 Abs. 2 GWB, § 76 Abs. 1 Satz 2 VgV vorgegebenen verbindlichen Mindestsätze nach der HOAI nicht ankomme. Ausschlaggebend sei vielmehr, dass der AG in seinen Vergabeunterlagen die verbindlichen HOAI Mindestsätze vorgegeben hat, an denen sich die Bieter auch orientiert haben, so dass diese Teile ihres Honorars sämtlich identisch sind. Es sei danach keineswegs auszuschließen, dass die Kalkulation des Honorars anders ausgefallen wäre, wenn die verbindlichen Honorarregeln der HOAI nicht hätten zugrunde gelegt werden müssen. Welche Gesamthonorare am Ende der Angebotskalkulationen gestanden hätten, falls die Bieter hinsichtlich des gesamten Leistungspaketes frei in ihrer Kalkulation gewesen wären, lasse sich nicht mit Bestimmtheit annehmen. Den Bietern wäre dann nämlich eine uneingeschränkt wettbewerbliche Kalkulation ohne verbindliche Vorgaben möglich gewesen.

Weiter führt die VK Bund ausdrücklich aus, dass die sich aus dem EuGH-Urteil ergebenden Folgen unmittelbar auch in Vergabeverfahren von den öffentlichen Auftraggebern sowie den Nachprüfungsinstanzen zu beachten sind.

Fazit

Zentraler Inhalt der Entscheidung der VK Bund ist, dass in zukünftigen und auch in noch laufenden Vergabeverfahren der öffentlichen Hand die Auftraggeber nicht vorgeben dürfen, die Preiskalkulation vollständig oder auch nur in Teilen nach den verbindlichen Höchst- und Mindestsätzen der HOAI vorzunehmen.

Vermutlich wird die Entscheidung insoweit auch Bestand haben und sich durchsetzen, da die in § 15 der Dienstleistungsrichtlinie RL 2006/123 EG statuierte Pflicht der EU-Mitgliedstaaten, rechtlich eine diskriminierungsfreie Erbringung von Dienstleistungen zu gewährleisten, eine vertikale Drittwirkung erzeugt. Da der EuGH festgestellt hat, dass das System verbindlicher Preise der HOAI eine ungerechtfertigte Diskriminierung darstellt, ist dieser Teil der HOAI im Verhältnis zwischen Staat und Bürger nicht mehr anwendbar, und zwar ohne dass es zuvor eines deutschen Rechtsetzungsaktes zur Umsetzung der Richtlinie bedurft hätte.

Ob daneben auch eine horizontale Drittwirkung, d.h. eine unmittelbare Geltung der Richtlinie im Verhältnis unter Privaten vorliegt, war von der Vergabekammer nicht zu klären und bedarf einer gesonderten Untersuchung (vgl. zu dieser Frage die einander widersprechenden Entscheidungen OLG Hamm, Urteil vom 23. Juli 2019 - 21 U 24/18; KG, Beschluss vom 19.08.2019 - 21 U 20/19; OLG Celle, Urteil vom 17. Juli 2019 - 14 U 188/18; OLG Düsseldorf, Urteil vom 17. September 2019 - 23 U 155/18; siehe dazu auch unseren Beitrag vom 26.09.2019).

Ob allerdings die VK Bund damit richtig lag, auch eine Verbindlichkeit des Preisrechts der HOAI für nur einen geringeren Teil des Gesamthonorars (hier von 35% des Gesamthonorars) als tragenden Grund heranzuziehen, um das Verfahren wegen Vergaberechtswidrigkeit partiell zurückzuversetzen, ist fraglich. Denn das Vorbringen aller Verfahrensbeteiligten, die teilweise Bindung an die HOAI habe sich nicht auf das Ergebnis der zuschlagsrelevanten Gesamtkalkulation ausgewirkt, scheint prima facie plausibel; die Vergabekammer widerlegt dieses Vorbringen auch nicht, sondern äußert nur Zweifel daran (Rn. 67). Die Begründung der Entscheidung überzeugt in diesem Teil daher nicht.

Im Ergebnis aber hat die Vergabekammer wohl recht: Denn wenn die Bieter des fraglichen Verfahrens im Resultat ihrer Gesamtkalkulation frei bleiben wollten, so konnten sie dies angesichts dessen, dass sie sich für 35% des Gesamthonorars an die Preisvorgaben der HOAI gebunden sahen, in vielen Fällen nur durch eine Preis- oder Kostenverlagerung auf andere Leistungspositionen erreichen. Darin läge jedoch vermutlich eine vergaberechtlich unzulässige Mischkalkulation (vgl. BGH X ZB 7/04 vom 18. Mai 2004 Rn. 24 ff.; EuG T-447/04 vom 31. Januar 2005 Rn. 76 ff.). Die Vergabekammer lies diesen Punkt offen (Rn. 67). Die teilweise Geltung des HOAI-Preisrechts führte somit sehr wahrscheinlich zu einem vergaberechtlich relevanten Fehler, sei es eine unzulässige Beschränkung der Kalkulationsfreiheit, sei es eine unzulässige Mischkalkulation.

Die Frage einer gemischten, d.h. teilweise nach dem verbindlichen Preisrecht der HOAI und teilweise frei vorzunehmenden Kalkulation dürfte zukünftige Vergabeverfahren allerdings nicht mehr betreffen, da – soviel steht fest – dieses Preisrecht von öffentlichen Auftraggebern nicht mehr angewandt werden darf.

Im Übrigen, also abgesehen vom verbindlichen Preisrecht kann die HOAI – dies darf noch einmal betont werden – weiterhin angewandt werden. So sieht auch der Erlass des BMI vom 5. August 2019 zur Anwendung der HOAI im Lichte des EuGH-Urteils vor, die Honorarberechnung auf Grundlage der bekannten Normen der HOAI vorzunehmen und die gebotene Flexibilität der Honorarbildung zu gewährleisten, indem das Preisblatt prozentuale Zu- oder Abschläge auf die nach HOAI berechneten Honorare vorsieht. Bis zu einer Reaktion des deutschen Normgebers wird man mit dieser Lösung arbeiten können. Es sind aber auch Honorarvereinbarungen möglich, die gänzlich von der HOAI unabhängig sind, etwa in Form von vertraglich zu vereinbarenden Pauschalvergütungen.

Die Ablösung der Honorarhöhe von den Vorgaben der HOAI wirft jedoch weitere Fragen auf, etwa vor dem Hintergrund des in § 60 VgV enthaltenen Ausschlussgrundes für unauskömmliche Angebote. Die Bewertung eines Angebots als unauskömmlich bedarf eines Bewertungsmaßstabes, für den weiterhin die Mindestsätze nach HOAI herangezogen werden können. Eine erhebliche Mindestsatzunterschreitung löst daher für den öffentlichen Auftraggeber regelmäßig eine Pflicht zur Aufklärung nach § 60 Abs. 1 VgV aus. Falls keine stichhaltigen Gründe für das ungewöhnlich niedrige Angebot erkennbar sind, kann der Auftraggeber das fragliche Angebot ablehnen oder muss dies sogar tun.

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